Alle Materialien wurden von atelier chora im Rahmen der Reihe von Interventionen in der ehemaligen Kaserne in Altwarp produziert.
Die Arbeiten entstanden mit der Unterstützung und Beteiligung von
Projekt WARP.

August 2025

30 M / HALLE 3

Die Halle 3 wird in ihrer südöstlichen Ecke diagonal durch einen leichten Kreisbogen geschnitten. Dieser Kreisbogen gehört zum 30-m-Waldabstand und markiert die Grenze von Natur- zu Kulturraum. Diese legislative Grenze entspricht vor Ort aber nicht den physischen Verhältnissen. Das Hallenbauwerk kragt seit Jahrzehnten schon in den erst kürzlich festgestellten Waldabstand hinein. Unabhängig davon hat sich die Natur ebenfalls den Weg ins Gebäude gebahnt, der Boden ist mit Humus, Moos und Pflanzen bedeckt, mehrere Birken wachsen zwischen den Betonplatten und Astwerk umliegender Bäume, Sträucher und Büsche ragt in die Halle. Weder Architektur noch Natur haben sich an die legislativen Zuschreibungen gehalten, noch von ihnen gewusst. Um jetzt die neuerdings eindeutig identifizierten und festgeschriebenen Zustände auf dem Gelände herzustellen, haben wir den Überlagerungszustand von Natur und Architektur aufgelöst und die Örtlichkeiten ihrer Bestimmung entsprechend aufgearbeitet. Der Betonboden der Halle ist überall von Pflanzen befreit und gereinigt, wo kein Wald existiert, dafür ist in der Gebäudeecke, die dem Wald zugehörig ist, ein Naturraum hergestellt worden. So ist ein den jüngst festgestellten Gesetzmäßigkeiten Folge leistender, geordneter Zustand hergestellt worden. Zudem wird durch die Intervention die legislative Grenze eindeutig abgebildet, um zukünftige Missverständnisse und Übertretungen zu vermeiden.
Diese Intervention hat eindrückliche Wirkung hinterlassen, so dass sie auf dem Gelände an mehreren weiteren Stellen umgesetzt werden soll.

30 M / BÄUME

Auf dem Gelände koexistieren Gebäude und Baumbestand. Doch auf legislativer Ebene sind Widersprüche, Reibungen und Spannungen auszumachen: Abstände werden nicht eingehalten, Zonen überlagern sich.
Die Hierarchien sind hier nicht eindeutig, was hat von was Abstand zu halten, die Gebäude vom Wald, der Wald von den Gebäuden? Stehen Bäume näher als 30 m von Architekturen, gefährden sie diese, könnten sie sie doch beim Kippen, Stürzen, Umschlagen beschädigen. Diese Bäume, die unabhängig von ihrem Wuchs und ihrer Art, also den kritischen Abstand zu Gebäuden, unabhängig von deren Konstruktion und Tektonik, nicht einhalten lassen sich identifizieren und markieren.
Die Markierung erfolgt am Stamm durch das Aufbringen einer silberglänzenden Haut. Das Material, dünn gewalztes Metall, entspringt einer technischen Logik. So bekleidet rücken die Bäume zwar nicht räumlich, doch aber ästhetisch näher an die technischen Bauwerke der alten Kaserne. Sie sind ausgezeichnet als kulturell überformte Artefakte und sollen so dem Bedeutungskosmos der wildgewachsenen Natur entnommen werden. So angeeignet, überformt und in die Künstlichkeit überführt, können die Stämme keine Gefahr mehr für die Architektur sein, der sie nun angehören.
Und gleichzeitig verhält es sich auch ganz anders, gegensätzlich. Die Stämme beginnen sich aufzulösen durch das Wiederspiegeln der Umgebung in der glänzenden Folie. Die Bäume verlieren in der Ansicht an visueller Präsenz und rücken zurück, in die sie umgebende Natur hinein. Auch so löst sich die Spannung auf, wenn aus der Distanz der Gebäude die „schuldigen“ Bäume nicht mehr klar erkennbar sind.
So oder so: die Spannung ist aufgelöst.

300 M / KÜSTENSCHUTZWALD

Im nordwestlichen Drittel des Geländes ist mit einem Abstand von 300 m vom Ufer des Stettiner Haffs der Küstenschutzwald ausgewiesen. Innerhalb dieser Grenze sind Waldumwandlungen nicht zulässig. Der Verlauf der Grenze ergibt sich einzig aus dem Versatz des Uferverlaufs und durchschneidet Wege, Gebäude und Naturraum gleichermaßen. Weil sich die maßgebende Referenzlinie in so großer Entfernung befindet, lässt sich der Verlauf der Grenze vor Ort nicht eindeutig nachvollziehen und nachempfinden. Um diese Grenze zu kommunizieren, haben wir einen Grenzbegang durchgeführt. Die Praxis des Grenzbegangs zur Klarstellung von Grenzverläufen reicht in der Kulturgeschichte weit zurück. Grenzbegänge waren in der Vergangenheit häufig Anlass für spezielle Riten, Zweck dieser Handlungen war die Aufrechterhaltung der Erinnerung an den Grenzbegang, insbesondere dort, wo Grenzen nicht durch natürliche Phänomene (Steine, besondere Bäume, Flussverläufe o. Ä.) sowieso sichtbar sind. Anschließend an diese Jahrhunderte alte Tradition des Grenzbegangs haben wir zusammen mit allen Menschen vor Ort eine gemeinsame Begehung der Grenze durchgeführt. Von der östlichen bis zur westlichen Mauer wurde das Gelände durchschritten, immer entlang und auf der Grenzlinie des Küstenschutzwaldes. Die Route führt durch verschiedene Waldzonen, auf Betonplatten, durch hüfthohes Gras, wird von Bäumen versperrt, die hügelige Erhebung der Bunkeranlagen hinauf und hinab und läuft dabei durchgehend unbeirrt von der sonstigen Raumlogik des Geländes. Der Begang, wenngleich eher soziale Praxis, die eine neue Route im Orientierungssinn der beteiligten Menschen verfestigt, hat auch einen direkten Einfluss auf den Raum selbst. Es bleiben Spuren zurück: Trampelfade durch den Wald, von Unterholz freigeräumte Abschnitte und nachträglich mit Farbe nachgezogene Fluchtlinien. So hat die legislative Grenze ihre Entsprechung im Raum und in der Erinnerung bekommen.

300 M / GRENZENGANG